Die Monatszeitschrift Die Kunstschule - Illustrierte Monatsschrift für Kunst und Kunstpflege erschien seit 1918. Der vorliegende Text stammt aus dem Heft Nr. 8, Jahrgang 11, 1928, Seite 237 bis 244. Kurt Lange wurde am 25.02.1898 in Berlin geboren. Er war als Kunstmaler tätig, gestaltete aber auch einige Filmplakate. Für sein Motiv zu Faust - Eine deutsche Volkssage erhielt er 1926 den 3. Preis eines Wettbewerbs der Ufa/Parufamet. |
von Kunstmaler Kurt Lange, Berlin
Mit 10 Abbildungen
Es ist in weitesten Kreisen bekannt, daß in der umfangreichen Familie der Werbekünste das Filmplakat die Stelle des Sorgenkindes einnimmt. Wer wird nicht ohne weiteres bekennen, daß ihm die Mehrzahl der jede Anschlagsäule bedeckenden, an allen Bauzäunen und Bahnhofswänden üppig wuchernden
Erzeugnisse dieser Gattung Widerwillen und Abneigung erregt.
Verstoßen die einen gegen den guten Geschmack, so lassen die anderen jede künstlerische Haltung, ja die einfachsten Spuren der Handfertigkeit vermissen; hier stört die unerträgliche Süßlichkeit einer Darstellung, dort fällt eine disharmonische Farbengebung oder eine unzulängliche Beschriftung störend ins Auge. Wohin man auch mit seinen Erkundungen dringt, man wird allenthalben feststellen können, daß der überwiegende Prozentsatz des Publikums dieser Propaganda skeptisch oder reserviert gegenübersteht.
Bedenkt man nun, daß unsere verhältnismäßig junge Plakatkunst an sich eine Höhe künstlerischer Bedeutung erlangt hat, die vor dreißig Jahren noch kaum zu ahnen war, die schon ihre eigenen Klassiker, Meister von Weltruf, aufzuweisen hat; bedenkt man ferner, daß im Bereich des Films beträchtliche Summen und ein großer Apparat von Künstlern, Propagandisten und Druckern, zahllose Köpfe, dazu aufgewendet werden, eine so überwiegend negative Wirkung auf ihr Publikum auszuüben, so sieht man sich zunächst einem Rätsel gegenüber. Wie ist diese Mißwirtschaft erklärlich? Woran liegt es, daß zu einer Zeit hoher künstlerischer Verantwortlichkeit, in der alle anderen Bezirke der Gebrauchsgraphik eine gewerbliche Kultur von solcher Ernsthaftigkeit aufweisen, daß jede simple Schutzmarke schon als eine kleine Kunstleistung anzusprechen ist, auf einem bedeutenden Spezialgebiet Geschmack und Können offensichtlich versagen? Die guten, zuverlässigen Film-Plakatmaler sind an den Fingern herzuzählen, manch einer von ihnen, dessen Blätter eine erwünschte Gase in der Wüste der Straßenpropaganda darzustellen, ist zudem aus der Öffentlichkeit verschwunden. Man sagt, daß die Filmindustrie trotz mancher bedenklichen Krise noch immer in der Lage sei, beträchtliche Summen für Reklamezwecke auszuwerfen, wo bleiben die
klingenden Namen, die sich aus allen verwandten Gebieten rühmlichst bewährten, wo bleibt auch der begabte Nachwuchs, an dem unzweifelhaft kein Mangel ist?
Wer, wie ich, Gelegenheit hatte, dies Problem in praktischer Tätigkeit an der Quelle zu studieren, für den vereinfacht sich die Fragestellung bald. Er erkennt zunächst, daß der Film, dies eigenwilligste Kind des zwanzigsten Jahrhunderts, sich noch immer in einem Zustand der Flegeljahre befindet, der kaum Vergleiche mit den Verhältnissen anderer Industrien gestattet. In gewissem Sinne glimmt ein Fünkchen Hollywoods, dieses jungenhaften, unberechenbaren, in Naivität und Lebenskraft unbegrenzten Filmparadieses, auch in Deutschland überall da, wo der Filmstreifen rollt und die Jupiterlampen flammen. Es hat sich gleichsam noch nicht der feste Qualitätsbegriff herauskristallisiert, wie wir ihn auf den meisten anderen Gebieten im Vollbewußtsein seiner
Würde finden, das Flimmerland ist noch immer im besten wie im übelsten Sinne traditionslos, und jede neueste seiner Schöpfungen kann ein Bankerott oder eine Pioniertat sein. Wir haben es erlebt, daß mit Pomp und Riesenaufwand angekündigte „Spitzenleistungen“ sich in der Premiere als kleine, schwächliche Banalitäten entlarvten, wir haben aber auch erfahren, daß anspruchslose, aus Verlegenheit ins Programm gelangte Zugabefilme einen Höchstgehalt an Kunst und Witz aufwiesen. Wie in jeder Entwicklungszeit, entsteht durch den Mangel einer festen Richtung, durch das ungestüme Walten der Gegensätze und die allgemeine Hilflosigkeit eine wunderliche Mischung von Genie, Laune und Unzulänglichkeit. Es kann geschehen, daß die besten und verheißungsvollsten Filmwerke neben ganz Vorzüglichem plötzlich Stellen von einer Unmöglichkeit zeigen, die dem unbefangenen Betrachter das Haar sträuben, dem verantwortlichen Regisseur aber offensichtlich
entgangen sein müssen. Man faßt sich an die Stirn und fragt sich, warum die großen Produktionsgesellschaften, wenn ihnen die Urteilsfähigkeit im höchsten Sinne fehlt – und, wie wir gesehen haben, noch fehlen muß, nicht zuletzt von der Premiere zwei oder drei Vertreter des gesunden Menschengeschmacks gegen angemessenes Honorar ins Parkett setzen, um sich von ihnen die zu schneidenden Stellen zeigen zu lassen, bevor die Kritik der Presse empfindlicher entscheidet.
Die Antwort der Filmfachleute lautet gewöhnlich: Eben die beanstandeten Stellen wirken auf das naive Publikum und sind, insbesondere für die Provinz, zum Kassenerfolge unentbehrlich. Diese Begründung erscheint aber nicht stichhaltig, wenn man bedenkt, daß bereits allenthalben eine Reaktionsbewegung gegen solche „Zugmittel“ einsetzt. Die Zahl der Personen, die infolge verfehlter psychologischer Spekulation dem Film verlorengehen, ist schon jetzt groß genug; die bekannten schlechten Finanzverhältnisse bedeutender Filmkonzerne legen davon Zeugnis ab.
Ich habe mich über diese Verhältnisse eingehender geäußert, weil die Zustände in der Film-Werbekunst aufs innigste mit ihnen verknüpft sind. Ein Neuland, und das ist die Welt des Films noch immer, das noch keine Instinktsicherheit in seinen Vertretern herangezüchtet hat, kann auch auf dem Gebiete seiner Propaganda keinen endgültigen Stil pflegen. Daran aber, diesen Stil aus dem Wirken der beauftragten Künstler organisch wachsen zu lassen, hindert die Filmbranche die falsche Tendenz, um die Gunst des Publikums durch Preisgabe der Qualität werben zu müssen.
Entschließt sich ein industrielles Unternehmen zur Erteilung eines Plakatauftrages, so läßt sich bei einiger beruflicher Erfahrung bald ohne weiteres die günstigste Formulierung festlegen. Einen Wink
zur Lösung der Aufgabe geben die edel-nüchternen Bernhardschen und Gipkensschen Sachplakate; einen anderen Weg weist der großzügige Realismus Hohlweins, der rassige Stil Arpkes, der Witz Steiners; es ist allenthalben ein geschmackliches Fundament da, auf dessen Basis eine künstlerische Einigung möglich ist. Der Geschäftsmann ist nicht mehr so naiv, auf die primitiven Regungen der Masse allein zu spekulieren, er weiß, daß es das Publikum gar nicht übel nimmt, anspruchsvoller behandelt zu werden, als es dies bisweilen verdienen mag. Und es ist nicht zu leugnen: dies Publikum lernt gern zu. Das künstlerisch und stilistisch ernsthafte Plakat, einst eine Utopie, hat sich heute in einem solchen Maße durchgesetzt, daß der Besuch einer gebrauchsgraphischen Ausstellung bisweilen mehr Kunstgenuß vermittelt als der einer Gemäldeausstellung. Der Durchschnittskaufmann wird, unter Voraussetzung gleicher Schlagkraft, dem künstlerischen Entwurf gegenüber dem kitschigen unzweifelhaft den Vorzug geben. Der Film aber befindet sich offensichtlich noch immer in dem Irrtum, die Gunst des Publikums hänge von der Befriedigung seiner plumpsten Instinkte ab. In meiner Tätigkeit konnte ich jedenfalls erleben, daß das im bösen Sinne volkstümliche Werbemittel fast stets den Sieg über das anspruchsvollere davontrug. Diese Darlegungen lassen allmählich klarer erkennen, warum wir auf dem Filmplakat so selten gute Künstlernamen finden und warum sich die wenigen auf diesem Gebiete Erfolgreichen nur kurze Zeit mit ihm abgeben. Ohne Anerkennung und innere Selbständigkeit hebt sich jedes künstlerische Schaffen im Dienste der Industrie früher oder später selbst auf. Dazu kommt die unerfreuliche Tatsache, daß man die gute Sache hier nicht zwei oder drei verantwortlichen Herren, sondern zahllosen, zudem ständig wechselnden Abteilungsleitern bis hinauf zum Herrn Generaldirektor gegenüber zu verteidigen hat. Und jeder Kopf hat die für ihn allein maßgebende Vorstellung vom Wesen einer wirksamen Reklame. Da bleibt auch der stärksten Persönlichkeit zum Schluß nichts übrig, als zu kapitulieren, gangbare, aber zweifelhafte Ware herzustellen oder dem Betriebe den Rücken zu wenden, wenn sie auf die Erhaltung ihres Rufes bedacht ist.
Wir sagten oben, daß jeder Novize des Filmplakates den Stil dieses Werbekunstzweiges aus Eigenem neu bestreiten müsse, da sich ein vorhandenes Fundament nicht entdecken läßt. Diese Aufgabe hat zweifellos großen Reiz, und welcher Neuling wäre nicht mit umfassenden Reformplänen ans Werk gegangen! Der eine versucht die Lösung vom großzügig gefaßten Symbol her, der andere erwartet sie vom streng ornamentalen Zusammenhang, von der gut verteilten Schrift, vom stilisierten Porträt und was es sonst noch für Möglichkeiten gibt. Das Ende vom Lied ist immer das gleiche, er findet keine Gnade vor dem Blick der Filmgewaltigen, deren Aufgabenkreis und deren Geschmacksrichtung an sich so raschem Wechsel unterworfen ist, daß ihnen schon morgen mißfällt, was sie heute besticht. Daran ist auch nicht zuletzt die ungesunde und aus die Dauer alle Verhältnisse zerrüttende Tendenz schuld, daß nur das Neueste, Einzigartige, niemals Dagewesene Sinn und Erfolg habe. Wie es von Ägypten bis zur Zukunftsmetropole, von Jesus bis zum Maschinenmenschen keinen Stoff gibt, der nicht irgendwie für das Sensationsbedürfnis der flimmernden Leinewand ausgebeutet
wäre, so gibt es auch keine Technik, keine künstlerische Anschauung, die nicht schon in den Dienst der Filmpropaganda gestellt wäre. Altmeisterlich oder expressionistisch, Ölfarbe oder Kreide, Litho oder Raster, es hat alles nichts genützt, denn Kultur eines Gewerbszweiges kann sich nur durch dauernde Geltung des Guten und Gelungenen herausbilden. Der geschmackliche, und nicht zuletzt der finanzielle Bankerott der bisherigen Filmgesinnung fällt ein hartes, aber gerechtes Urteil.
Um der Materie gerecht zu werden, können wir uns nicht versagen, einmal zu prüfen, worin sich die Ausgaben des Filmplakates sachlich von denen des sonstigen Plakatwesens unterscheiden. Ein jedes Plakat soll zuerst die Aufmerksamkeit an sich erregen, dieselbe dann mühelos auf den propagandierten Gegenstand lenken und schließlich dem erwachten Interesse einladende Angaben zurufen, welche die Wirkung befestigen. Im allgemeinen gelangt in mehr oder minder verheißender Aufmachung der zu empfehlende Artikel selbst zur Darstellung. Das ist beim Film, der in gewissem Sinne etwas Unkörperliches, ein Vorgang ist, nicht möglich. Es kommt nur in Betracht, diesen Vorgang selbst entweder als typischen Ausschnitt des Gesamtwerkes illustrativ wirklich oder andernfalls symbolisch übersetzt darzustellen. Es ist kein Geheimnis, daß die Männer der „Branche“ der ersten Möglichkeit fast stets den Vorzug geben. Man bekommt eine Serie jener gewöhnlich schauderhaften, gestellten Einzelaufnahmen ausgehändigt, die für Aushangzwecke angefertigt werden und für künstlerische Eingebungen kaum zu gebrauchen sind, und kann von Glück sagen, wenn einem nicht noch eine entsetzliche Kuß- oder Mordszene als die „einzig mögliche“ bezeichnet wird. Die dringend erforderliche Vorführung des Films selbst, die allein einen Begriff von Zusammenhang und Sinngebung vermitteln kann, findet in den selten-
sten Fällen statt. So bleibt einem nichts übrig, als eine Art Übertragung aus dem Schwärzlich-Photographischen ins Farbig-Graphische vorzunehmen und dabei die Köpfe besonders peinlich zu kopieren, da sie „unbedingt ähnlich“ sein müssen. Daß sich dabei künstlerisch wertvolle Lösungen in den seltensten Fällen erzielen lassen, ist ohne weiteres klar.
Und damit kommen wir zu dem eigentlichen Problem der Filmreklame: In der Einzeldarstellung etwas wirksam festzuhalten, was sich eigentlich nur im Ablauf, im Nacheinander mitteilt. Eine filmische Handlung kann in der Entwicklung und Auflösung, im Flusse der Erscheinungen wohl einen tiefen künstlerischen Eindruck erwecken, reißt man aber Einzelsituationen heraus, um sie festzuhalten, so kommt man um die Fatalität des „gestellten lebenden Bildes“ kaum herum. Selbst wenn man, wie Theo Matejko in seinen besten Schöpfungen, den Eindruck der Lebendigkeit durch nervöse graphische Mittel aufs höchste steigert, entsteht bestenfalls eine große Illustration eines selten bedeutenden Vorganges, aber kein in sich zum Organismus gerundetes Kunstwerk, wie es jedes simple Seifenplakat, jede Zigarrenreklame darstellen kann. Es bleibt eine, wenn auch technisch vollendet vorgetragene, verlegene Situationsphotographie, geschmacklich unwesentlich, weil ihr eigentliches Wesen nicht in der Form, sondern im Ablauf liegt. Es kann auch gar nicht anders sein. Und selbst die lebendigste Darstellung kann den inneren Sinn auf diesem Wege nicht verdeutlichen.
Eine Zwischenstufe vom realistischen Ausschnitt zum stilistischen Symbol stellt vielleicht der einzelne große Bildniskopf dar, wie wir ihn zuweilen an den Anschlagsäulen auftauchen sehen. Er kann bei hohen zeichnerischen Dualitäten seines Schöpfers sehr wohl zum monumentalen Ausdruck des Gesamtfilmwerks werden. Aber die Möglichkeiten seiner Abwandlung sind gering, er setzt ein bedeutendes Talent sowohl des Künstlers wie des Druckers voraus, um zu wirken, und kann die stilistische Grundlage einer ganzen Propagandagattung kaum bilden, da er bei allzu häufiger Anwendung das Interesse der variationsbedürftigen Massen erlahmen lassen würde. Daß er als Einzelerscheinung vorzügliche Lösungen ermöglicht, beweisen insbesondere Kupfer-Sachs' hervorragende Arbeiten auf diesem Gebiet.
Die Möglichkeiten einer symbolischen Stoffbehandlung sind natürlich unbegrenzt. Seit Bernhards gewaltigem und wahrhaft klassischem „Inri“-Plakat finden wir hier eine Fülle wertvoller Anregungen. Allein die Filmleute sind, wie bemerkt, hier sehr skeptisch, und in einer Hinsicht nicht ohne Grund. Es liegt nämlich die Gefahr nahe, daß die Eigenwilligkeit der Lösung den Zweck des Plakates und die Eindeutigkeit seiner Absicht aufhebt. Der Stoff wird leicht zum Rebus, die Marke zum Selbstzweck, und der eilige oder naive Blick übersieht, daß der Darstellung noch die Aufgabe innewohnt, in irgendein Filmtheater zu locken. Als Filmplakat im eigentlichen Sinne wirkt nach wie vor die meines Dafürhaltens von Matejko ins Leben gerufene große graphische Illustration eines Bewegungsvorganges. Sie leuchtet ein, solange sich nichts Endgültigeres findet. Indessen läßt sich wohl denken, daß sich eines Tages ein spezifischer Filmwerbestil herauskristallisiert, der das Sorgenkind zu einem vollwertigen und vollgeachteten Familienmitgliede entwickelt.
Vielleicht müssen Film und Filmproduzent, am Ende auch Filmpublikum, bis dahin noch manche Wandlung durchmachen. An gutem Willen fehlt es nicht, der allgemeine Wettbewerb zur Erlangung eines würdigen „Faustfilm“-Plakates hat es bewiesen. Wenn das Ergebnis im allgemeinen trotzdem weit hinter den Erwartungen zurückblieb, so beweist gerade dieser Umstand, daß man sich über den Stil der jungen und durchaus nicht reizlosen Aufgabe noch allenthalben im unklaren ist. Es wäre nicht nutzlos, sich innerlich damit auseinanderzusetzen. Die vielen erfolglos vertanen, durch falsche Dispositionen im letzten Augenblick Stümpern und Unfähigen zugefallenen Mittel könnten gewinnbringender angelegt werden. Dem Material ist keine Beschränkung auferlegt, jedes Handwerk ist recht, wenn das Problem von innen heraus zur Lösung zu bringen ist. Gewiß ist zu bedenken, daß zur Reproduktion vorwiegend der lithographische Stein zur Anwendung gelangt, die Technik wird das berücksichtigen müssen. Aber auch diese Fragen werden von untergeordneter Bedeutung sein, wenn es dem Film und im Zusammenhang mit ihm dem Filmplakat gelingen sollte, die ihm innewohnende Welt – und wir glauben an diese Welt, weil sie uns schon unverlierbare Erlebnisse schenkte – endgültig zu gestalten.
FPA 05.03.2016